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das erschöpfte selbst

burn out
bore out
resilienz





Weshalb Han den schwachen Seelen mit Nietzsches Zarathustra vorwirft: "Ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch - und selbst zur Faulheit nicht".

Depression. Unbestritten ist sie heute ... die Signatur der Seele... . Lähmende Gefühle der Erschöpfung und der Unzulänglichkeit gehören zu ihren Erkennungszeichen

Freuds Subjekt hingegen wird unter die Räder kommen. Dabei hatte er vor allem zu bedenken gegeben: »Niemand wird durch Arbeit oder Aufregung allein neurotisch.« DIE ANGST, MAN SELBST ZU WERDEN, die später auch für den Analytiker Jacques Lacan im Zentrum steht, wird als Konzept von den Reparaturkünsten verdrängt.

Das Rätseln der Experten stellt Ehrenberg in den Rahmen einer Gesellschaft, in der Pflicht, Disziplin und Gehorsam von den demokratischen Werten der Selbstbestimmung, der Initiative und der Verantwortlichkeit abgelöst werden. Die Aufgabe, aus eigener Kraft aufzusteigen, Eigentum zu erwerben und glücklich zu sein, durchdringt alle Seelenräume. Wenn etwas nicht glückt, droht das Gefühl des Versagens. Der Mangelhaftigkeit. »Sich befreien«, schreibt Ehrenberg, »macht nervös, befreit sein depressiv. Die Angst, man selbst zu sein, versteckt sich hinter der Erschöpfung, man selbst zu sein.«

Über die Wut

"Im Zuge einer allgemeinen Beschleunigung und Hyperaktivität verlernen wir auch die Wut. Die Wut hat eine besondere Temporalität, die sich mit der allgemeinen Beschleunigung und Hyperaktivität nicht verträgt. Diese lässt keine Temporale Weite zu. Die Zukunft verkürzt sich zu einer verängerten Gegenwart. Ihr fehlt jede Negativität, die den Blick auf das Andere zuließe. Die Wut stellt dagegen die Gegenwart ganz in Frage. Sie setzt ein unterbrechendes Innehalten in der Gegenwart voraus. Darin unterscheidet sie sich vom Ärger. Die allgemeine Zerstreuung, die die Gesellschaft von heute kennzeichnet, lässt die Emphase und Energie der Wut nicht aufkommen. Die Wut ist ein Vermögen, das in der Lage ist, einen Zustand zu unterbrechen und einen neuen Zustand beginnen zu lassen. Sie weicht heute immer mehr der Ärgernis oder dem Angenervtsein, das keine entscheidende Veränderung zu bewirken vermag. So ärgert man sich über das Unvermeidliche." (S.42, Die Müdigkeitsgesellschaft)
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in der "zeit"
"Noch das 20. Jahrhundert, das auf Disziplin beruhte, wie es etwa eindringlich der französische Philosoph Michel Foucault beschrieben hat, brachte mithilfe von allerlei Bewachern in allerlei Anstalten einst »Verrückte und Verbrecher« hervor, unsere Gesellschaft hingegen produziert »Depressive und Versager«
[...]
Offenkundig treibt uns derzeit kaum etwas mehr um als die Furcht, alles Fremde könnte uns abhandengekommen sein. Mit der größte Tabubruch dieser Tage wäre übrigens die ungeheuerliche Behauptung, das Migrationsproblem werde als etwas übertrieben eingestuft."

alain ehrenberg "unbehagen in der gesellschaft"-rezension in der süddeutschen zeitung

"Es ist kaum möglich, die eigenen Bedrängnisse als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Misere zu beschreiben. Zum Prinzip der Eigenverantwortung gehört es, alle Chancen im Ich zu suchen. Wem sich die nötigen Chancen nicht bieten, der findet im Ich allerdings nur noch die Gründe seines Elends, sein ganz persönliches Versagen.
[...]
Hat das Reden von der Autonomie eine gewisse Stärke erreicht, suchen die Menschen, diskursgelenkt, die Ursache ihres Leidens in sich."

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falter:
Tyrannische Intimität
Was die Psychiater „Pathologien der sozialen Bindung“ nennen, analysieren die Soziologen als Verfall der zwischenmenschlichen Beziehungen. Ehrenberg zeichnet die Wechselwirkung zwischen Psychoanalyse und Soziologie nach, die sich in der Einschätzung einig sind: Aufstieg des Individualismus = Niedergang der Gesellschaft. 
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mit dem ideal der autonomie und der entfaltung der individualität wird die verantwortung auch ins individuum verlegt. freiheit heißt chance und wird zum zwang, der leicht zur quelle des scheiterns und der selbstvorwürfe/schuldgefühle werden kann.

mit der eigenverantwortlichkeit für sein handeln verschiebt sich aber die psychologische relevanz der implikationen auch auf den sozialen bereich (des mündigen-oder ebeb nicht mündigen-bürger)
geistige gesundheit rückt in den fokus des gesellschaftlichen interesses, weil geistige pathologien pathologien der freiheit sind

autonomie bedeutet eine schwächung der sozialen bindungen und eine verschärfung der zumutungen auf das eigenverantwortliche individuum

übertragungsneurosen (hysterie, phobie, besessenheit-konflikt aus verbotenem und wunsch  - schlechtes gewissen gegenüberüberich-zugrund liegt ödipal die kastrationsangst) versus charakterneurosen (narzissmus und borderline - hier geht es um verlustangst - schlechtes gewissen gegenüber ich-ideal)
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gunnar kaiser

"Die Depression ist eine Krankheit, über die man umso weniger definitiv zu wissen scheint, je stärker sie sich verbreitet. Und sie verbreitet sich rasch: Schätzungen gehen von derzeit 340 Millionen Fällen weltweit aus. Depressionen treten bei Menschen aller sozialen Schichten, Kulturen und Nationalitäten auf. Etwa zwei Prozent der Kinder unter 12 Jahren und fünf Prozent der Jugendlichen unter 20 Jahren sind betroffen. Allein in Deutschland erkranken ungefähr zwanzig Prozent aller Bundesbürger einmal in ihrem Leben an einer Depression. Zehn bis fünfzehn Prozent aller Depressionspatienten begehen Selbstmord. Die Depression ist so nicht nur zu einer Krankheit Einzelner, sondern auch zu einem Sinnbild für den Zustand ganzer Gesellschaften geworden.
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In Abgrenzung zur traditionsreichen Melancholie hat der amerikanische Schriftsteller Andrew Solomon die Depression einmal so beschrieben: "TRAURIGKEIT UND MELANCHOLIE GEHÖREN zu den Erfahrungen eines reichen Lebens. Sie folgen auf Verlust, und Verlust ist verbunden mit den Gefühlen von Liebe. Depression ist etwas ganz anderes. Depression heißt, auf eine schmerzhafte Art abgeschnitten zu sein von allen nützlichen Erfahrungen des Menschseins, und das ist keineswegs schön."
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Autonomie, Selbstständigkeit und Verantwortung sind die Schlagworte, die den Menschen der modernen Gesellschaft vor die schwierige und ermüdende Aufgabe stellen, um jeden Preis er selbst zu sein. Das souveräne Individuum bestimmt nun die übliche Lebensweise. Das Ich ist zu einer einzigen Großbaustelle geworden. Diese Ermüdung diagnostiziert Ehrenberg in seinem bereits vor sieben Jahren in Frankreich erschienenen Buch als Negativ der gesellschaftlichen Forderung nach Aktivität. Der Zwang zur Individualität habe eine Einsamkeit der Selbstverantwortung (Beck-Gernsheim) hervorgerufen, die sich mehr und mehr in den benannten Symptomen äußere. DORT, WO DIE SEELE DEM ANSPRUCH auf Selbstverwirklichung nicht mehr nachkommen kann, reagiert sie mit einem Rückzug auf ganzer Linie, mit innerer Leere, Antriebsschwäche und Erschöpfung. War die Neurose bei Freud die Krankheit der Schuld (gegenüber den gesellschaftlichen Ge- und Verboten), so ist die Depression nach Ehrenberg eine Krankheit der Verantwortung (gegenüber dem eigenen Ich).
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HEILUNG BEDEUTET, SO EHRENBERGS ABSCHLIESSENDE Behauptung, dass ein Individuum an seinen Erfahrungen wächst und lernt, seine Konflikte auszuhalten und als konstituierenden Teil der Persönlichkeit zu akzeptieren. Hierin liegen zugleich die wichtigen politischen Implikationen der Thesen Ehrenbergs. Die demokratische Gesellschaft beruhe auf dem Konstrukt eines politischen Subjekts, das sich in Konflikten selbst gebildet hat und somit in der Lage ist, von seinen Befindlichkeiten abzusehen und an seiner Umwelt zu arbeiten. Fällt dieses Subjekt aus - die steigende Nachfrage nach Psychopharmaka und die relative Abdankung der Psychotherapie lassen solches befürchten -, so bewegt sich unsere Gesellschaft auf einen gefährlich instabilen Zustand zu."

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interview mit alain ehrenberg

[...]
Ich habe den Eindruck, dass sich die Gesellschaftskritik in diesem Zusammenhang häufig nostalgisch eine Zeit zurückwünscht, in der wir zwar neurotisch waren, dafür aber auch geschützt von sozialen Strukturen. Mir ist das zu romantisch. Wir leben heute in einer anderen Gesellschaft mit neuen Beschränkungen und neuen Freiheiten. Entsprechend muss man auch das Problem sozialer Ungleichheit heute anders denken. In einer Gesellschaft, für die der Wert der Autonomie zentral ist, muss man die Frage stellen, unter welchen Bedingungen die Menschen überhaupt zum autonomen Handeln fähig sind. Es geht dann um das Problem der Befähigung.
[...]
Sie sagen, die Depression sei die typische Pathologie des demokratischen Menschen. Heißt das, dass Depression die notwendige Kehrseite des Lebens in Demokratien ist?
Ja. Die Melancholie war die Krankheit des Ausnahmemenschen. In der Demokratie soll nun jeder prinzipiell ein Ausnahmemensch sein können. Mit dieser Demokratisierung verliert die Melancholie aber ihre heroischen Momente, sie wird zur Depression, zu einer bloßen Krankheit.

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Nicht nur in den USA und in Frankreich, sondern in allen westlichen Ländern führen die voranschreitenden Individualisierungsprozesse und der gesellschaftliche Strukturzerfall zu einem Unbehagen in der Gesellschaft, das Ehrenberg ausdrücklich nicht als soziale Pathologie verstanden wissen will. Das Unbehagen ist ein unvermeidlicher «Kollateralschaden» einer Demokratie, die sich selbst ernst nimmt – so lautet Alain Ehrenbergs Fazit.

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rezension unbehagen in der gesellschaft in der "zeit"

Heute seien die Massen schlicht fix und fertig. »SICH BEFREIEN MACHT NERVÖS, BEFREIT SEIN DEPRESSIV. Die Angst, man selbst zu sein, versteckt sich hinter der Erschöpfung, man selbst zu sein.« Wenn aber der demokratische Bürger stimmungsaufhellende Pillen schluckt, um guter Dinge im Büro erscheinen zu können, dann dankt der mündige Souverän ab, den ein demokratisches Gemeinwesen braucht: Alain Ehrenbergs Studie wirkte wie Demokratiealarm.

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rezension zu topologie der gewalt von han ...


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Das »spätmoderne Leistungssubjekt« kenne kein disziplinierendes Gegenüber mehr, und deshalb finde eine Konfrontation mit dem Anderen, aus der sich die individuelle Persönlichkeit oft unter Qualen bildete, nicht statt. Aus dem Verlust dieser zentralen Konfliktebene erklärt Han die Hilflosigkeit der Psychologie gegenüber den verbreiteten Leiden Depression und burn-out. Der Essay darf mit Gewinn auch als eine Pathologie der gegenwärtigen Industriegesellschaft gelesen werden, in der der Autor Depression, burn-out, Adipositas und Infarkt aus dem Zustand des gesellschaftlichen Organismus ableitet und sich in seiner Diagnose gegen Alain Ehrenberg abgrenzt (»Nur glücklich zu leben ist unvorstellbar« – Interview mit Alain Ehrenberg in der taz vom 13. Juli 2008). 

das erschöpfte selbst


ideale persönlichkeitsentfaltung führt über eine reihe "phasenspezifischer psychologischer krisen" (s.322, bettelheim, kinder brauchen märchen)


zu lebendig, um zu sterben und zu tot, um zu leben