Burnout ist keine Depression - oder doch?
Die Grenzen zwischen Burnout und Depression sind fließend, meint der Psychiater und Psychotherapeut Christian Simhandl
http://derstandard.at/1308186324250/Ausgebrannt-Burnout-ist-keine-Depression---oder-dochDie klinischen Burnout-Stufen
zwölf Phasen im Verlauf des Burnout-Syndroms, identifiziert von Herbert Freudenberger und Gail North. Die Reihenfolge kann auch anders als die nachfolgende sein:
- Drang, sich selbst und anderen etwas beweisen zu wollen
- Extremes Leistungsstreben, um besonders hohe Erwartungen zu erfüllen
- Überarbeitung mit Vernachlässigung anderer persönlicher Bedürfnisse und sozialer Kontakte
- Überspielen oder Übergehen der inneren Probleme und Konflikte
- Zweifel am eigenen Wertesystem und ehemals wichtigen Dingen wie Hobbys und Freunden
- Verleugnung entstehender Probleme, zunehmende Intoleranz und Geringschätzung Anderer
- Rückzug und Vermeidung sozialer Kontakte auf ein Minimum
- Offensichtliche Verhaltensänderungen, fortschreitendes Gefühl der Wertlosigkeit, zunehmende Ängstlichkeit
- Depersonalisierung durch Kontaktverlust zu sich selbst und zu Anderen, das Leben verläuft zunehmend „mechanistisch"
- Innere Leere und verzweifelte Versuche, diese Gefühle durch Überreaktionen zu überspielen (Sexualität, Essgewohnheiten, Alkohol und Drogen)
- Depression mit Symptomen wie Gleichgültigkeit, Hoffnungslosigkeit, Erschöpfung und Perspektivlosigkeit
- Erste Selbstmordgedanken als Ausweg aus dieser Situation; akute Gefahr eines mentalen und physischen Zusammenbruchs.
Merkmale der depressiven Episode (ICD-10):
"Bei den typischen leichten (F32.0), mittelgradigen (F32.1) oder schweren (F32.2 und F32.3) Episoden, leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von sogenannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen."
VOLLBESCHÄFTIGUNG - ERSCHÖPFUNG
http://www.theeuropean.de/frithjof-bergmann/7353-alte-denkmuster-und-neue-arbeitskultur?utm_source=owly&utm_campaign=TE-Postings
Peter Henisch: Studien zu Hamlet
Studien zu Hamlet
Hamlets Erkenntnis
1
Enthalten wir uns
(sagt Hamlet)
der Aktivität
Leben
(sagt er)
geschieht in der Leideform
2
In sein Fernrohr verkrochen
hat Hamlet
(sagt er)
die Chance
auf ein neues
Gestirn
gewahrt
3
Wenn wir
(sagt Hamlet)
in Zeitlupe sterben
vom Steiß an
haben wir ganze
dreiunddreißig
Wirbel
zu leben
gehabt
Dein Käfig
sagte der Wärter
scheint dir nur eng
Weil du immer
zu nahe
ans Gitter kommst
Zwischenspiel
(Fabeln)
Laufe ich hinter mir selbst her
da haben Sie recht
so laufe ich strenggenommen
vor mir davon
Aber so lang ich
davonrennen kann
vor mir selbst
muß ich mir eigentlich
immer ein Stückchen voraus sein
(sagte die Katze
und spielte weiter
mit ihrem Schwanz)
4
AUF DIE FRAGE, WIE ES IHM GEHE
Daß es
mir schlecht geht
finde ich eigentlich gut
Daß ich gut finde daß es mir
schlecht geht darunter leide ich
Daß ich darunter leide daß ich daß es
mir schlecht geht gut finde finde ich gut
Daß ich gut finde daß ich darunter leide daß
ich gut finde daß es mir schlecht geht muß ich
schlecht finden wenn ich schlecht finde daß es mir
gut geht wie ich daß es mir schlecht geht eigentlich
gut finde usf.
ERSCHÖPFUNGSGESCHICHTE (UA)
oder Wer hat den Tüchtigen das Glück gestohlen?
Wo die Seele dem Anspruch auf Selbstverwirklichung nicht mehr nachkommen kann, reagiert sie mit einem Rückzug auf ganzer Linie, mit innerer Leere, Antriebsschwäche und Erschöpfung. Laut Statistiken haben die Fälle von Depression in den letzten Jahren dramatisch zugenommen und sind kurz davor zur zweithäufigsten Krankheitsursache zu werden. Wird die Depression zur Signatur der modernen Seele? Ist sie die notwendige Kehrseite des Lebens in Demokratien? Wieviel Freiheit vertragen wir? dreizehnterjanuar macht sich auf die Suche nach dem neuen Menschen. "Ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch - und selbst zur Faulheit nicht!" (Friedrich Nietzsche)
Ein Stück Diskurstheater von dreizehnterjanuar
in Kooperation mit Hundsturm (commissioned by Volkstheater)
Ab 16. November im Hundsturm
Weitere Vorstellungen: 17., 20., 21., 23. und 24. November 20:00 Uhr
Tickets 12.- VVK / 14.- AK www.hundsturm.org
mit:
Katrin Grumeth
Charles Toulouse
Andreas F. Lindermayr
u.v.m.
Inszenierung: Fanny Brunner
Dramaturgie & Text: Hans-Jürgen Hauptmann
Ausstattung: Daniel Angermayr
Video: Fred Lachinger
Ausstattung: Daniel Angermayr
Video: Fred Lachinger
Regieassistenz: Jan Preiszler
Produktionshospitanz: Nike Eisenhart
Produktionshospitanz: Nike Eisenhart
Nach den Vorstellungen Podiumsdiskussionen mit ExpertInnen u.a. mit N.N.
Moderation: N.N.
Unterstützt von Wien Kultur und BMUKK.
Proben:
5.10. 11h Konzeptionsprobe Sechskrügelgasse
ab 14.10. mit Charles / im Slowakischen Kulturverein?
Dispo Endproben:
Fr 8.11.
TE
18-22h Probe
Sa 9.11.
10-17h Probe
So 10.11.
10-17h Probe
Mo 11.11.
10-17h Probe
Di 12.11.
10-17h Probe
Mi 13.11.
10-14h Probe
14-19h Beleuchtungsprobe
19-22h HP 1
Do 14.11.
10-14h Probe
14-19h Beleuchtungsprobe
19-22h HP 2 - Video
Fr 15.11.
10-14h Probe
18-20h Beleuchtungskorrektur
20-22h GP - Foto
Sa 16.11.
11-14h n.A.
20h Premiere
Spieltermine: 16,17, 20, 21, 23, 24 November
25.11.: Abbau
Charles
http://www.schauspielervideos.de/profilecard/schauspieler-charles-toulouse.html
Willkommen an Bord, Charles!
material divers / notizen hj
mal zum eingrooven:
stichworte, textauszüge und links der dazugehörigen artikel und interviews ...
das erschöpfte selbst
burn out
bore out
resilienz
Weshalb Han den schwachen Seelen mit Nietzsches Zarathustra vorwirft: "Ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch - und selbst zur Faulheit nicht".
Depression. Unbestritten ist sie heute ... die Signatur der Seele... . Lähmende Gefühle der Erschöpfung und der Unzulänglichkeit gehören zu ihren Erkennungszeichen
Freuds Subjekt hingegen wird unter die Räder kommen. Dabei hatte er vor allem zu bedenken gegeben: »Niemand wird durch Arbeit oder Aufregung allein neurotisch.« DIE ANGST, MAN SELBST ZU WERDEN, die später auch für den Analytiker Jacques Lacan im Zentrum steht, wird als Konzept von den Reparaturkünsten verdrängt.
Das Rätseln der Experten stellt Ehrenberg in den Rahmen einer Gesellschaft, in der Pflicht, Disziplin und Gehorsam von den demokratischen Werten der Selbstbestimmung, der Initiative und der Verantwortlichkeit abgelöst werden. Die Aufgabe, aus eigener Kraft aufzusteigen, Eigentum zu erwerben und glücklich zu sein, durchdringt alle Seelenräume. Wenn etwas nicht glückt, droht das Gefühl des Versagens. Der Mangelhaftigkeit. »Sich befreien«, schreibt Ehrenberg, »macht nervös, befreit sein depressiv. Die Angst, man selbst zu sein, versteckt sich hinter der Erschöpfung, man selbst zu sein.«
Über die Wut
"Im Zuge einer allgemeinen Beschleunigung und Hyperaktivität verlernen wir auch die Wut. Die Wut hat eine besondere Temporalität, die sich mit der allgemeinen Beschleunigung und Hyperaktivität nicht verträgt. Diese lässt keine Temporale Weite zu. Die Zukunft verkürzt sich zu einer verängerten Gegenwart. Ihr fehlt jede Negativität, die den Blick auf das Andere zuließe. Die Wut stellt dagegen die Gegenwart ganz in Frage. Sie setzt ein unterbrechendes Innehalten in der Gegenwart voraus. Darin unterscheidet sie sich vom Ärger. Die allgemeine Zerstreuung, die die Gesellschaft von heute kennzeichnet, lässt die Emphase und Energie der Wut nicht aufkommen. Die Wut ist ein Vermögen, das in der Lage ist, einen Zustand zu unterbrechen und einen neuen Zustand beginnen zu lassen. Sie weicht heute immer mehr der Ärgernis oder dem Angenervtsein, das keine entscheidende Veränderung zu bewirken vermag. So ärgert man sich über das Unvermeidliche." (S.42, Die Müdigkeitsgesellschaft)
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in der "zeit"
"Noch das 20. Jahrhundert, das auf Disziplin beruhte, wie es etwa eindringlich der französische Philosoph Michel Foucault beschrieben hat, brachte mithilfe von allerlei Bewachern in allerlei Anstalten einst »Verrückte und Verbrecher« hervor, unsere Gesellschaft hingegen produziert »Depressive und Versager«
[...]
Offenkundig treibt uns derzeit kaum etwas mehr um als die Furcht, alles Fremde könnte uns abhandengekommen sein. Mit der größte Tabubruch dieser Tage wäre übrigens die ungeheuerliche Behauptung, das Migrationsproblem werde als etwas übertrieben eingestuft."
alain ehrenberg "unbehagen in der gesellschaft"-rezension in der süddeutschen zeitung
"Es ist kaum möglich, die eigenen Bedrängnisse als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Misere zu beschreiben. Zum Prinzip der Eigenverantwortung gehört es, alle Chancen im Ich zu suchen. Wem sich die nötigen Chancen nicht bieten, der findet im Ich allerdings nur noch die Gründe seines Elends, sein ganz persönliches Versagen.
[...]
Hat das Reden von der Autonomie eine gewisse Stärke erreicht, suchen die Menschen, diskursgelenkt, die Ursache ihres Leidens in sich."
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falter:
Tyrannische Intimität
Was die Psychiater „Pathologien der sozialen Bindung“ nennen, analysieren die Soziologen als Verfall der zwischenmenschlichen Beziehungen. Ehrenberg zeichnet die Wechselwirkung zwischen Psychoanalyse und Soziologie nach, die sich in der Einschätzung einig sind: Aufstieg des Individualismus = Niedergang der Gesellschaft.
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mit dem ideal der autonomie und der entfaltung der individualität wird die verantwortung auch ins individuum verlegt. freiheit heißt chance und wird zum zwang, der leicht zur quelle des scheiterns und der selbstvorwürfe/schuldgefühle werden kann.
mit der eigenverantwortlichkeit für sein handeln verschiebt sich aber die psychologische relevanz der implikationen auch auf den sozialen bereich (des mündigen-oder ebeb nicht mündigen-bürger)
geistige gesundheit rückt in den fokus des gesellschaftlichen interesses, weil geistige pathologien pathologien der freiheit sind
autonomie bedeutet eine schwächung der sozialen bindungen und eine verschärfung der zumutungen auf das eigenverantwortliche individuum
übertragungsneurosen (hysterie, phobie, besessenheit-konflikt aus verbotenem und wunsch - schlechtes gewissen gegenüberüberich-zugrund liegt ödipal die kastrationsangst) versus charakterneurosen (narzissmus und borderline - hier geht es um verlustangst - schlechtes gewissen gegenüber ich-ideal)
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gunnar kaiser
"Die Depression ist eine Krankheit, über die man umso weniger definitiv zu wissen scheint, je stärker sie sich verbreitet. Und sie verbreitet sich rasch: Schätzungen gehen von derzeit 340 Millionen Fällen weltweit aus. Depressionen treten bei Menschen aller sozialen Schichten, Kulturen und Nationalitäten auf. Etwa zwei Prozent der Kinder unter 12 Jahren und fünf Prozent der Jugendlichen unter 20 Jahren sind betroffen. Allein in Deutschland erkranken ungefähr zwanzig Prozent aller Bundesbürger einmal in ihrem Leben an einer Depression. Zehn bis fünfzehn Prozent aller Depressionspatienten begehen Selbstmord. Die Depression ist so nicht nur zu einer Krankheit Einzelner, sondern auch zu einem Sinnbild für den Zustand ganzer Gesellschaften geworden.
[...]
In Abgrenzung zur traditionsreichen Melancholie hat der amerikanische Schriftsteller Andrew Solomon die Depression einmal so beschrieben: "TRAURIGKEIT UND MELANCHOLIE GEHÖREN zu den Erfahrungen eines reichen Lebens. Sie folgen auf Verlust, und Verlust ist verbunden mit den Gefühlen von Liebe. Depression ist etwas ganz anderes. Depression heißt, auf eine schmerzhafte Art abgeschnitten zu sein von allen nützlichen Erfahrungen des Menschseins, und das ist keineswegs schön."
[...]
Autonomie, Selbstständigkeit und Verantwortung sind die Schlagworte, die den Menschen der modernen Gesellschaft vor die schwierige und ermüdende Aufgabe stellen, um jeden Preis er selbst zu sein. Das souveräne Individuum bestimmt nun die übliche Lebensweise. Das Ich ist zu einer einzigen Großbaustelle geworden. Diese Ermüdung diagnostiziert Ehrenberg in seinem bereits vor sieben Jahren in Frankreich erschienenen Buch als Negativ der gesellschaftlichen Forderung nach Aktivität. Der Zwang zur Individualität habe eine Einsamkeit der Selbstverantwortung (Beck-Gernsheim) hervorgerufen, die sich mehr und mehr in den benannten Symptomen äußere. DORT, WO DIE SEELE DEM ANSPRUCH auf Selbstverwirklichung nicht mehr nachkommen kann, reagiert sie mit einem Rückzug auf ganzer Linie, mit innerer Leere, Antriebsschwäche und Erschöpfung. War die Neurose bei Freud die Krankheit der Schuld (gegenüber den gesellschaftlichen Ge- und Verboten), so ist die Depression nach Ehrenberg eine Krankheit der Verantwortung (gegenüber dem eigenen Ich).
[...]
HEILUNG BEDEUTET, SO EHRENBERGS ABSCHLIESSENDE Behauptung, dass ein Individuum an seinen Erfahrungen wächst und lernt, seine Konflikte auszuhalten und als konstituierenden Teil der Persönlichkeit zu akzeptieren. Hierin liegen zugleich die wichtigen politischen Implikationen der Thesen Ehrenbergs. Die demokratische Gesellschaft beruhe auf dem Konstrukt eines politischen Subjekts, das sich in Konflikten selbst gebildet hat und somit in der Lage ist, von seinen Befindlichkeiten abzusehen und an seiner Umwelt zu arbeiten. Fällt dieses Subjekt aus - die steigende Nachfrage nach Psychopharmaka und die relative Abdankung der Psychotherapie lassen solches befürchten -, so bewegt sich unsere Gesellschaft auf einen gefährlich instabilen Zustand zu."
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interview mit alain ehrenberg
[...]
Ich habe den Eindruck, dass sich die Gesellschaftskritik in diesem Zusammenhang häufig nostalgisch eine Zeit zurückwünscht, in der wir zwar neurotisch waren, dafür aber auch geschützt von sozialen Strukturen. Mir ist das zu romantisch. Wir leben heute in einer anderen Gesellschaft mit neuen Beschränkungen und neuen Freiheiten. Entsprechend muss man auch das Problem sozialer Ungleichheit heute anders denken. In einer Gesellschaft, für die der Wert der Autonomie zentral ist, muss man die Frage stellen, unter welchen Bedingungen die Menschen überhaupt zum autonomen Handeln fähig sind. Es geht dann um das Problem der Befähigung.
[...]
Sie sagen, die Depression sei die typische Pathologie des demokratischen Menschen. Heißt das, dass Depression die notwendige Kehrseite des Lebens in Demokratien ist?
Ja. Die Melancholie war die Krankheit des Ausnahmemenschen. In der Demokratie soll nun jeder prinzipiell ein Ausnahmemensch sein können. Mit dieser Demokratisierung verliert die Melancholie aber ihre heroischen Momente, sie wird zur Depression, zu einer bloßen Krankheit.
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Nicht nur in den USA und in Frankreich, sondern in allen westlichen Ländern führen die voranschreitenden Individualisierungsprozesse und der gesellschaftliche Strukturzerfall zu einem Unbehagen in der Gesellschaft, das Ehrenberg ausdrücklich nicht als soziale Pathologie verstanden wissen will. Das Unbehagen ist ein unvermeidlicher «Kollateralschaden» einer Demokratie, die sich selbst ernst nimmt – so lautet Alain Ehrenbergs Fazit.
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rezension unbehagen in der gesellschaft in der "zeit"
Heute seien die Massen schlicht fix und fertig. »SICH BEFREIEN MACHT NERVÖS, BEFREIT SEIN DEPRESSIV. Die Angst, man selbst zu sein, versteckt sich hinter der Erschöpfung, man selbst zu sein.« Wenn aber der demokratische Bürger stimmungsaufhellende Pillen schluckt, um guter Dinge im Büro erscheinen zu können, dann dankt der mündige Souverän ab, den ein demokratisches Gemeinwesen braucht: Alain Ehrenbergs Studie wirkte wie Demokratiealarm.
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rezension zu topologie der gewalt von han ...
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Das »spätmoderne Leistungssubjekt« kenne kein disziplinierendes Gegenüber mehr, und deshalb finde eine Konfrontation mit dem Anderen, aus der sich die individuelle Persönlichkeit oft unter Qualen bildete, nicht statt. Aus dem Verlust dieser zentralen Konfliktebene erklärt Han die Hilflosigkeit der Psychologie gegenüber den verbreiteten Leiden Depression und burn-out. Der Essay darf mit Gewinn auch als eine Pathologie der gegenwärtigen Industriegesellschaft gelesen werden, in der der Autor Depression, burn-out, Adipositas und Infarkt aus dem Zustand des gesellschaftlichen Organismus ableitet und sich in seiner Diagnose gegen Alain Ehrenberg abgrenzt (»Nur glücklich zu leben ist unvorstellbar« – Interview mit Alain Ehrenberg in der taz vom 13. Juli 2008).
das erschöpfte selbst
ideale persönlichkeitsentfaltung führt über eine reihe "phasenspezifischer psychologischer krisen" (s.322, bettelheim, kinder brauchen märchen)
zu lebendig, um zu sterben und zu tot, um zu leben
Vom Ringen um Identität in der spätmodernen Gesellschaft
http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2010/keupp_h.pdf
hier ein paar stichworte und auszüge:
(marktradikale freiheitsideologie, neoliberales erfolgsparadigma, marktlogik, die für das billigste angebot das zweitbilligste sofort fallen lässt. das problem ist aber, dass das individuum dieser sprunghaften logik nicht folgen kann, ohne eine auflösung des selbst(werts) zu riskieren. und andererseits gibt es keine kultur des scheiterns, in denen die erfahrung von verlust und niederlage in die eigene biographie integriert werden kann, ohne daran zu grunde zu gehen ...)
"Schon eigene Alltagserfahrungen stützen die Vermutung, dass von den einzelnen Personen eine hohe Eigenleistung bei diesem Prozess der konstruktiven Selbstverortung zu erbringen ist. Sie müssen Erfahrungsfragmente in einen für sie sinnhaften Zusammenhang bringen. Diese individuelle Verknüpfungsarbeit nenne ich “Identitätsarbeit”, und ich habe ihre Typik mit der Metapher vom “Patchwork” auszudrücken versucht "
"Identitätsarbeit hat als Bedingung und als Ziel die Schaffung von Lebenskohärenz. In früheren gesellschaftlichen Epochen war die Bereitschaft zur Übernahme vorgefertigter Identitätspakete das zentrale Kriterium für Lebensbewältigung. Heute kommt es auf die individuelle Passungs- und Identitätsarbeit an, also auf die Fähigkeit zur Selbstorganisati- on, zum "Selbsttätigwerden" oder zur „Selbsteinbettung“. In Projekten bürgerschaftlichen Engagements wird diese Fähigkeit gebraucht und zugleich gefördert. Das Gelingen dieser Identitätsarbeit bemisst sich für das Subjekt von Innen an dem Kriterium der Authentizi- tät und von außen am Kriterium der Anerkennung." (s.14)
"Die „Kinder der Freiheit“ werden meist so dargestellt, als hätten sie das Wertesystem der Moderne endgültig hinter sich gelassen. Es wird als „Wertekorsett“ be- schrieben, von dem man sich befreit habe und nun könnte sich jede und jeder ihren eige- nen Wertecocktail zu Recht mixen. Das klingt nach unbegrenzten Chancen der Selbstbe- stimmung und Selbstverwirklichung. Aber diese Situation beschreibt keine frei wählbare Kür, sondern sie stellt eine Pflicht dar und diese zu erfüllen, erfordert Fähigkeiten und Kompetenzen, über die längst nicht alle Menschen in der Reflexiven Moderne verfügen." ( s.16)
"Eine solche psychologistische Reduktion fügt sich sehr gut ein in ein neoliberales Menschenbild, das eine maximierte Selbstkontrolle als Fortschritt anpreist. Johanno Strasser (2000) hat diese Kritik zuspitzt. Er vertritt die These, dass Ausbeutung und Ent- fremdung zunehmend weniger als fremd gesetzter Zwang einem Menschen begegnet, sondern mehr und mehr zu einer Selbsttechnologie wird, zu einer Selbstdressur, die allerdings in den Ideologien des Neoliberalismus in einem Freiheits- oder Autonomiediskurs daher kommt."
(s.19)